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ARD/ZDF: TV-Spartensender vor dem Abschuß?

Nach jahrelangem Streit der Bundesländer über eine Reform von Auftrag und Struktur von ARD, ZDF und D-Radio stellten die Landesregierungen 2021 sieben TV-Spartenkanäle zur Disposition. Verantwortung für Entscheidung über deren Zukunft wollen die Bundesländer aber selbst nicht übernehmen. Was nicht ausschließt, dass sich die Politik später einen (Spar-) Erfolg auf ihre Fahnen schreibt.

Tatsächlich hatten CDU und CSU schon mittelfristig den Grundstein einer fundamentalistischen Medienpolitik gesetzt mit dem Ziel, die programmlichen Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Sender auf Inhalte zu beschränken, die dem Privatrundfunk keine Konkurrenz machen. Das wurde der Öffentlichkeit als Sparstrategie verkauft. Wenn nationaler internationaler Spitzensport von Fußball bis Olympia den Privatsender überlassen wird, dürften Pay-TV und die anderen Bezahlformen den Zuschauern unterm Strich mehr kosten, als die Ersparnis durch einen reduzierten Rundfunkbeitrag.

Lobbyarbeit für den Privatfunk

Der im November 2021 veröffentlichte Entwurf zur Änderung des Medienstaatsvertrages macht sich eine CSU-Forderung zueigen. Horst Seehofer, damals CSU-Chef und Bayerns Ministerpräsident, hatte schon 2016 als Ziel der CSU-Medienpolitik die Abschaffung des ZDF verkündet: „Wir streben langfristig die Beseitigung von Doppelstrukturen und die Zusammenlegung von ARD und ZDF unter einem Dach an.“ Das war aber wohl bei nicht bei allen Bundesländern durchsetzbar.

Gleichwohl legte eine Gruppe von CDU-Funktionäten laut Medien Anfang 2021 noch eins drauf: „Es soll künftig nur noch eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt geben. Die bisherigen Sender sollen unter diesem Dach fusionieren.“ Damit wird auch die Existenz der neun ARD-Landesrundfunkanstalten angegriffen.

Ziel ist es, „den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf einen Nischenanbieter reduzieren“, kritisierte Frank Überall vom Deutschen Journalistenverband (DJV). Verdi-Chef Frank Werneke kommentierte: „Wer unsere öffentlich-rechtlichen Fernsehsender fusionieren und klein halten, die Radiosender signifikant reduzieren, Kultur auf eine ‚Basisversorgung‘ beschränken und Übertragungen von Fußball-WM, -EM, Champions League sowie Olympischen Spielen privaten Anbietern überlassen will, betreibt nichts als Lobbyarbeit für die großen Medienhäuser.“

Seehofers Nachfolger Markus Söder - und damit der Freistaat Bayern - hatte das Thema 2019 übernommen: „Aber man kann sich schon überlegen, wie man die Zusammenarbeit von ZDFinfo, ZDFneo, Tagesschau24, One, Phoenix und Alpha verbessern, Kosten einsparen und Synergieeffekte finden kann.“

Mit dem Entwurf des Medienstaatsvertrages vom November 2021 haben sich auch die von SPD und Grünen (mit-) regierten Bundesländer den Angriff auf die Spartenkanäle zueigen gemacht.

Sender sollen die Zukunft der TV-Sparten verantworten

Das neue Konzept der Bundesländer für die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten von Ende 2021 beinhaltet ein potenzielles Ende zumindest (oder: zunächst?) der sieben öffentlichen Fernseh-Spartenkanäle.

Bisher wurden alle Programme von den Bundesländern im (damaligen Rundfunk-) Staatsvertrag bzw. den Sender-Staatsverträgen ausdrücklich beauftragt. Darunter sind natürlich alle genannten Spartensender. Das soll für die sieben genannten Kanäle künftig nicht mehr sein. Vielmehr sollen die ARD-Rundfunkräte bzw. der ZDF-Fernsehrat das Entscheidungsrecht über die Zukunft der sieben Programme verantworten. Die Gremien hätten also für jedes Programm einzeln zu entscheiden,
ob es überhaupt noch für notwendig gehalten wird;
ob das lineare Sendekonzept (der 24/7-Programmablauf) und die Verbreitung über Antenne, Kabel und Satellit noch erforderlich sind;
ob, mit welcher inhaltlichen und Zielgruppen-Orientierung und in welchem Umfang lineare Programme durch nonlineare Angebote (also Abruf-) Inhalte im Internet und den Mediatheken ersetzt werden.
Dies, so die Argumentation der Rundfunkpolitiker der Landesregierungen, gebe den Sendern die „Flexibilität“ eigener Einschätzungen. Sie sollen entscheiden: „Wollen sie ihre Angebote wirklich noch auf dem linearen Weg weiter ausstrahlen oder wollen sie
es anders gestalten“, lobt RLP-Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Sie sitzt der Rundfunkkommission der Bundesländer vor, die den Medienstaatsvertrag vorbereitet. Das sei keinesfalls eine Absage an die Kanäle. „Diese Flexibilisierung ist also gerade kein Freifahrtschein, sondern bedeutet mehr Verantwortung für die Anstalten.“

Um das zu erreichen wird die Beauftragung der genannten Spartensender im Entwurf gestrichen. Sie werden dort nicht mehr als „Programme“, sondern á la Funk als „Angebote“ bezeichnet. Insofern nimmt der Staatsvertrag, wird er denn verabschiedet, bereits die in den Sendern zu diskutierenden Entscheidungen verbal schonmal vorweg.

Vom „Programm“ zum „Angebot“ durch Outsourcing von Verantwortung

Letztlich aber, wird weiter argumentiert, sollen ARD und ZDF damit vor allem beim jüngerem Publikum Einschaltpunkte sammeln. Dass das ausschließlich mit nonlinearer Verbreitung zu erreichen wäre, kann bezweifelt werden. Man sieht sich ja keine audiovisuellen Sendung wegen eines schönen Programm- oder Kanalnamens an, sondern weil der Inhalt interessiert. Und, weil bestimmte Sendungen im Zeitplan einfacher zu finden sind, als auf einer mit Inhalten vollen Website.

Funktioniert die Strategie des Outsourcings der Entscheidung über die Zukunft ganzer Programme und haben nonlineare „Angebote“ einen messbaren Erfolg, werden sich die Landesregierungen für ihre vorausschauende weise Politik loben. Gibt es Beschwerden der Zuschauer, kann die Politik mit dem Finger auf die Sender zeigen. Und verschweigen, dass Mitglieder aller großen Parteien als Staats- oder Verbandsvertreter in den Sendergremien mitentschieden haben.

Massive Einsparungen als politisches Ziel

Erklärtes Ziel der Bundesländer war es immer, den Rundfunkbeitrag zu senken und mit ein paar von den Zuschauern einzusparenden Euros auf Stimmenfang zu gehen. Dieses Ziel besteht fort, auch nachdem die als Sparhebel konzipierte „Strukturoptimierung“ im angedachten Umfang scheiterte. Jetzt wird auch finanzielle Verantwortung an die Sender abgeschoben. Denn das Ende der linearen Verbreitung beinhaltet höchst geldwerte Konsequenzen.

Der Entwurf formuliert es positiv: Die Finanzierung muss „die wettbewerbsfähige Fortführung der bestehenden Angebote, die durch Staatsvertrag aller Länder zugelassenen beauftragten Fernsehprogramme sowie die überführten oder ausgetauschten Angebote“ ermöglichen.

Mit dem Wegfall der linearen Ausstrahlung entfallen die Verbreitungskosten über Antenne, Kabel und Satellit für die betreffenden Kanäle. Welche finanziellen Dimensionen das erreichen kann, deutet der 22. KEF-Bericht für den Zeitraum zwischen 2021 und 2024. Dort wird die Programmverbreitung mit jährlichen 185,2 Mio. Euro für die ARD und für das ZDF mit 72,5 Mio. Euro (Tz. 105 und 111) festgestellt. Würden alle sieben Spartenkanäle aus dem Linearen gekippt, könnte das z.B. bei DVB-T2 HD zu einer Zusammenlegung der Multiplexe von ARD und ZDF führen und beide könnten 1/3 der Verbreitungskosten für Terrestrik sparen. Auch die Ressourcen in Kabelnetzen und für Satellitentransponder werden nicht mehr gebraucht, wodurch Kosten in ähnlichem Verhältnis zu den Kosten der dortigen bisherigen Verbreitung obsolet werden würden.

Nicht vergessen werden sollten Folgen für die Beschäftigung in der Medienbranche: Es werden weniger Sendungen produziert, weil es weniger Abspielmöglichkeiten gibt. In der Folge werden Stellen in den Sendern überflüssig und freiberufliche Mitarbeiter werden in geringerem Umfang oder gar nicht mehr beschäftigt. Das Beispiel der laufenden RBB-Reform zeigt, dass die Existenz von Journalisten, die freiberuflich ausschließlich für den Sender tätig sind, gefährdet sein könnte. Entfallen beim Fernsehen Produktionsaufträge, trifft das unabhängige Produktionsfirmen, deren Festangestelle und die für einzelne Projekte hinzugezogenen Filmschaffenden.

Zunächst geht es um die TV-Sparten ...

Ausdrücklich nicht betroffen sind laut dem aktuellen Entwurf die beiden Hauptprogramme DasErste und das ZDF. Auch den Dritten Programmen der neun Landesrundfunkanstalten geht es (vorerst ?) nicht ans Eingemachte. Nicht zuletzt: Über die Dritten wird in den jeweiligen Bundesländern aufgrund entsprechender Gesetze (bzw. bei NDR, MDR, RBB und SWR aufgrund der entsprechenden Staatserverträge) entschieden. Gleiches gilt aufgrund internationaler Verträge für 3Sat und Arte.

Der Begriff „Hörfunk“ findet in den geplanten Änderungen des Medienstaatsvertrags überhaupt nicht statt. Es scheint also, dass das Radio unbeschädigt aus der Reform hervorgehen könnte. Die RBB-Intendantin Patricia Schlesinger hatte jedoch schon im Februar 2021 vorauseilend Beflissenheit in Sachen „Flexibilisierung“ gerade für die Radioverbreitung gezeigt: „Dass wir in den nächsten ein, zwei, drei Jahren eine Welle einstellen“, wollte sie nicht ausschließen. Aber auch das wäre im RBB-Staatsvertrag zu regeln.

... aber nur zunächst ...

Auf der populistischen Seite der Politik reicht manchen Medienpolitikern die mögliche Abschaffung von Spartenprogrammen nicht aus. CDU-Prominenz Sachsen-Anhalts, bekannt durch die Nähe ihrer Medienpolitik zur AfD und ein gestörtes Verhältnis zu den Öffentlich-rechtlichen, forderten die Abschaltung des ARD-Programms Das Erste. Dazu bedauerte der medienpolitische Fraktionssprecher Markus Kurze, dass man das „politisch derzeit nicht umsetzen“ kann und es ein „Fernziel“ sei. Der Verzicht auf den nationalen Sender soll über eine vorgebliche Stärkung der Ragionen ausgeglichen werden, während das ZDF fürs Bundesweite erhalten bleibe.

Um weniger ARD/ZDF zu flankieren behauptet Kurze, die bei ARD und UDF würden „Minderheitenmeinungen stärker vorkommen als die Meinung der Mehrheit“. Als Beweis dafür, dass ein „Mainstream“ politischer Äußerungen (dem man die CDU zuordnen kann) bei ARD und ZDF quasi unterbelichtet sei, nennt er eine angebliche Dominanz von Kilmaschutz-Befürwortern.

Die CDU Sachsen-Anhalts steht damit nicht allein. So forderte CSU-Chef Horst Seehofer schon 2016 „langfristig die Beseitigung von Doppelstrukturen und die Zusammenlegung von ARD und ZDF unter einem Dach“. Darüber geht nur die AfD geht hinaus.

So geht es weiter

Zum Entwurf konnten Unternehmen und Institutionen bis Mitte Januar 2021 Stellung nehmen. Danach wird die Endfassung des Medienänderungs-Staatsvertrages von den MinisterpräsidentInnen der 16 Bundesländer beschlossen und unterzeichnet. Der Vertrag wird nur wirksam, wenn alle 16 Länderparlamente Zustimmungsgesetze verabschiedet haben. Das soll Anfang 2022 der Fall sein. Schert jedoch ein Bundesland aus, wie Sachsen-Anhalt 2020/2021 beim 1. Medienänderungsstaatsvertrag, wäre die Reform zunächst geplatzt. Dann könnte das Bundesverfassungsgericht angerufen werden, um für Ordnung zu sorgen.

Weitere Informationen:
Diskussionsentwurf des Medienstaatsvertrages, Stand 11/2021.
Landes-CDU will Das Erste loswerden vom 18.1.2022.
Was wird aus den TV-Spartensendern? vom 20.11.2021.
„Flexibilität“ für Spartensender? vom 24.10.2021.
Rückkehr zum Regierungs-Rundfunk? vom 28.2.2021.
Wann fällt das lineare Radio? vom 24.2.2021.
CSU für Kopplung und Programmreform vom 4.3.2019.
Seehofer will ZDF abschaffen vom 12.9.2016.



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Diese Seite wurde zuletzt am 18.01.2022 geändert.
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